… der mit einfacher Mehrheit gefasst wurde: Schadenersatz der Eigentümergemeinschaft wegen Pflichtverletzung des Verwalters?

Sachverhalt:
In einer Eigentümerversammlung hat die einfache Mehrheit der Eigentümer eine massive bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums durch einen Eigentümer genehmigt. Ein Eigentümer, der dagegen gestimmt hat, erhebt die Anfechtungsklage. Dieser Rechtsstreit endet in der Berufung durch eine übereinstimmende Erledigungserklärung. Anschließend verlangen die Kläger des vorliegenden Rechtsstreits, dass der Verwalter diejenigen Kosten erstattet, die ihnen im Anfechtungsverfahren entstanden sind. Sie meinen, der Verwalter hätte den Beschluss nicht verkünden dürfen, da er nur mit einfacher Mehrheit gefasst worden ist.

Entscheidung:
Vorab zur Klarstellung, die zum Verständnis der Entscheidung beitragen kann:

Der BGH, dessen Urteil hier dargestellt wird, hatte also nicht darüber zu entscheiden, mit welcher Mehrheit ein Beschluss über eine bauliche Veränderung gefasst werden muss. Vielmehr ging es darum, ob der Verwalter die Verfahrenskosten, die den beklagten Eigentümern im Anfechtungsverfahren entstanden sind, als Schadenersatz ausgleichen muss.

Voraussetzungen für Beschluss über bauliche Veränderungen
In § 22 Abs. 1 WEG ist geregelt, dass bauliche Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums beschlossen werden können, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte über das normale Maß hinaus (§ 14 Nr. 1 WEG) beeinträchtigt werden.

Einfache Mehrheit
Das WEG verlangt für diesen Beschluss keine spezielle Mehrheit. Daher ist er mit der üblichen einfachen Mehrheit zu fassen (§ 21 Abs. 3 WEG). Dabei dürfen auch die nicht beeinträchtigten Wohnungseigentümer mitstimmen.

Zustimmung der beeinträchtigten Eigentümer
Außer dieser einfachen Mehrheit ist für einen Beschluss über eine bauliche Veränderung in § 22 Abs. 1 WEG festgelegt, dass diejenigen Wohnungseigentümer zustimmen müssen, die durch die bauliche Veränderung über das normale Maß hinaus beeinträchtigt werden. Wenn nicht alle beeinträchtigten Eigentümer der baulichen Veränderung zustimmen, ist ein trotzdem verkündeter Beschluss (nur) rechtswidrig. Wird er nicht angefochten, bleibt er nach Ablauf der Anfechtungsfrist vollständig wirksam. Er ist also nicht nichtig, sondern muss aktiv durch eine gerichtliche Klage beseitigt werden.

Pflichtverstoß des Verwalters
Mindestens ein Eigentümer, der über das normale Maß hinaus beeinträchtigt wäre, hat hier der baulichen Veränderung nicht zugestimmt. Daher war der Beschluss rechtswidrig. Der Verwalter hat ihn trotzdem verkündet. Der BGH, der über den Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter zu entscheiden hatte, musste daher prüfen, ob dem Verwalter im Zusammenhang mit der Abstimmung über die bauliche Veränderung ein Pflichtverstoß vorzuwerfen ist. Sollte das der Fall sein, wäre er zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.

Zustimmung gemäß § 22 Abs. 1 WEG
Der BGH entscheidet die bisher strittige Rechtsfrage, was unter der „Zustimmung“ in § 22 Abs. 1 WEG zu verstehen ist. Er ordnet das Zustimmungserfordernis nicht als formale Voraussetzung für die Beschlussfassung ein. Nach seiner Auffassung ist die Zustimmung aller über das normale Maß hinaus beeinträchtigten Wohnungseigentümer nicht Voraussetzung, dass eine Beschlussfassung überhaupt erst erfolgen kann. Vielmehr handelt es sich um eine „besondere Vorgabe für die ordnungsgemäße Verwaltung“. Ob ein Beschluss den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht, ist also nicht Voraussetzung für die Beschlussfassung selbst; die Beschlussfassung kann daher auch erfolgen, wenn nicht alle Zustimmungen vorliegen, die gemäß § 22 Abs. 1 WEG erforderlich sind. Vielmehr wird diese Frage erst in einem eventuellen Anfechtungsverfahren nach Beschlussfassung geklärt. Wenn der Beschluss nicht die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung einhält, wird er vom Gericht für ungültig erklärt. Nach dem BGH muss bzw. darf der Verwalter also die in § 22 Abs. 1 WEG festgelegte Zustimmung aller Eigentümer, die über das normale Maß hinaus beeinträchtigt sind, bei der Auszählung der Stimmen gar nicht berücksichtigen. Vielmehr muss der Verwalter, wie der BGH ausdrücklich feststellt, den Beschluss über die bauliche Veränderung verkünden, wenn eine einfache Mehrheit der Eigentümer dem Antrag zugestimmt hat.

Das bedeutet, dass der Verwalter im vorliegenden Fall nicht pflichtwidrig gehandelt hat, als er das Zustandekommen des Beschlusses mit einfacher Mehrheit in der Versammlung festgestellt hat.

Hinweispflichten des Verwalters
Der BGH erlegt dem Verwalter in diesem Zusammenhang jedoch umfangreiche Pflichten auf. Hinsichtlich einer baulichen Veränderung muss er die Eigentümer darüber aufklären, welche Eigentümer ihre Zustimmung erteilen müssen, weil sie über das normale Maß hinaus beeinträchtigt sind. Er muss sie anschließend darauf hinweisen, dass ein Anfechtungsrisiko besteht, wenn sie mit einfacher Mehrheit die bauliche Veränderung genehmigen, ohne dass alle beeinträchtigten Eigentümer zugestimmt haben. Die Eigentümer tragen die Verantwortung für den Inhalt der Beschlüsse und dürfen deshalb selbstverständlich bei der Beschlussfassung auch das Risiko einer Anfechtung eingehen. Dazu muss ihnen das Risiko aber vollständig und klar bekannt sein. Die Darstellung dieses Anfechtungsrisikos ist Aufgabe des Verwalters.

Wenn der Verwalter diese Aufklärung schuldhaft nicht gibt, verstößt er gegen elementare Pflichten aus dem Verwaltervertrag. Deshalb ist er in diesem Fall zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einzelnen Eigentümern durch seine pflichtwidrige Handlung entstanden ist.

Offensichtlich falsche Hinweise des Verwalters
Der BGH weist aber auch ganz deutlich darauf hin, dass der Verwalter nur verpflichtet ist, die Zustimmungserfordernis im Rahmen einer baulichen Veränderung sehr sorgfältig zu prüfen. Wenn er nach dieser Prüfung zu einem Ergebnis kommt, dass nicht klar, eindeutig und leicht erkennbar falsch ist, trifft ihn kein Verschulden. Damit muss er auch keinen Schadenersatz leisten.

Im vorliegenden Fall geht der BGH nach den Feststellungen der vorherigen Instanzen davon aus, dass der Verwalter die Eigentümer vor der Abstimmung umfangreich über die Rechtslage, die Zustimmungsnotwendigkeiten und die Anfechtungsrisiken hingewiesen hat. Daher wird die Klage gegen den Verwalter auf Schadenersatz abgewiesen.

(BGH, Urteil vom 29.05.2020; AZ: V ZR 141/19)

 

Praxistipps:

1.
Der BGH betont in seiner Entscheidung, dass die Frage, welcher Eigentümer durch eine bauliche Veränderung über das normale Maß hinaus beeinträchtigt wird, oft schwierig zu beantworten ist. Der Verwalter bleibt dennoch verpflichtet, die rechtliche Problematik umfassend und intensiv zu prüfen und den Eigentümern in der Versammlung die notwendigen Hinweise zu geben, auch wenn sie rechtliche Ausführungen erfordern und enthalten. Diese Leistung gehört zum „Kerngeschäft eines Berufsverwalters.“

Jedem Verwalter ist also auch aus diesem Gesichtspunkt dringend zu raten, sich fortzubilden, um immer auf dem aktuellen Stand der rechtlichen Entwicklung zu bleiben.

2.
In dem Urteil gibt der BGH noch einen Vorschlag, wie der Verwalter in der Versammlung mit dem Zustimmungserfordernis der betroffenen Eigentümer umgehen kann. Er entwickelt dazu ein zweistufiges oder ein einstufiges Vorgehen.

Bei dem zweistufigen Vorgehen fragt der Verwalter vor der Abstimmung über die bauliche Veränderung ab, welche der anwesenden Eigentümer die nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Zustimmung erteilen. Wenn nicht alle Zustimmungen, die benötigt werden, vorliegen, könnte er die Abstimmung absagen.

Das einstufige Vorgehen bedeutet, der Verwalter lässt nur über den Beschluss abstimmen. Wenn er anschließend der Meinung ist, den Beschluss trotz der erforderlichen einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht verkünden zu können, weil nach seiner Auffassung die Zustimmung betroffener Eigentümer fehlt, darf er nicht feststellen, dass der Beschluss nicht zustande gekommen ist. Vielmehr kann er per Geschäftsordnungsbeschluss eine Weisung der Wohnungseigentümer einholen, den Beschluss aufgrund der abgegebenen einfachen Mehrheit der Stimmen zu verkünden. Die Wohnungseigentümer müssen dann für sich entscheiden, ob sie das klare Anfechtungsrisiko wegen des Fehlens einer oder mehrerer Zustimmungen tragen wollen. Wenn nicht, sollten die Eigentümer den Verwalter anweisen, den Beschluss nicht zu verkünden. Der Verwalter muss die eingeholte Anweisung umsetzen.

Auch mit diesem Vorgehen vermeidet der Verwalter Schadensersatzansprüche, vorausgesetzt, dass er die Eigentümer ordnungsgemäß, klar und umfassend über die Rechtslage und die Anfechtungsrisiken aufgeklärt hat.